Bienenwachs als Gedächtnis des Bienenstocks – eine fachliche Einordnung aktueller Befunde

Der Satz „Bienenwachs ist das Gedächtnis des Bienenstocks“ beschreibt sowohl eine biologische Tatsache als auch eine treffende Metapher. In der Imkerei und Biologie wird Wachs seit Langem als ein Medium verstanden, das Informationen über Jahre hinweg speichert. Diese Informationen sind nicht sichtbar, aber analytisch nachweisbar. Sie betreffen weniger die Bienen selbst als vielmehr die Stoffe, mit denen ein Bienenvolk im Laufe seiner Nutzung in Kontakt kommt.

Das chemische Gedächtnis des Wachses

Bienenwachs besteht überwiegend aus lipophilen, also fettliebenden Molekülen. Diese Eigenschaft macht es zu einem stabilen Baustoff – zugleich aber zu einem Speichermedium für andere lipophile Substanzen. Wirkstoffe, die in den Stock eingebracht werden oder aus der Umwelt stammen, können sich im Wachs anreichern und dort über lange Zeiträume verbleiben.

Während Honig regelmäßig vom Imker geerntet oder von den Bienen konsumiert wird, bleibt Wachs meist über mehrere Jahre im Bestand einer Imkerei. Durch Einschmelzen und Wiederverwendung wird diese Speicherfunktion nicht aufgehoben, sondern fortgeführt. Das chemische Profil des Wachses spiegelt daher nicht nur aktuelle Einträge wider, sondern auch nahtlos die imkerliche Vergangenheit.

Anlass für eine neue Betrachtung: ANSES und Bienenwachs

Im Dezember 2025 hat die französische Behörde ANSES (Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail) eine fachliche Bewertung zur Kontamination von französischem Bienenwachs veröffentlicht. ANSES ist die nationale Einrichtung in Frankreich für wissenschaftliche Bewertungen im Bereich Lebensmittelsicherheit, Umwelt und Tiergesundheit. Sie bündelt vorhandenes Wissen, wertet Daten aus und formuliert Empfehlungen.

Der Bericht befasst sich mit Belastungen von Wachs, das in Frankreich zur Herstellung von Mittelwänden verwendet wird. Grundlage sind Literaturdaten sowie Erhebungen bei Wachsumarbeitern, Berufsimkern und Anbietern von Mittelwänden. Im Zentrum steht die Frage, wie sich Rückstände in Abhängigkeit von Herkunft, Recycling und eingesetzten Wirkstoffen erklären lassen.

Ein zentrales Ergebnis ist, dass die Belastung von Wachs nicht gleichmäßig, sondern stark von seiner Herkunft geprägt ist. Wachs aus betriebseigenen Kreisläufen – insbesondere frisch von den Bienen erzeugtes Wachs – weist im Mittel erwartungsgemäß geringere Rückstandsgehalte auf als anonymes Handelswachs, vorallem von internationaler Herkunft.

Kommerziell erhältliche Mittelwände sind in Frankreich tendenziell belastet.

Wirkstoffe im Fokus der französischen Bewertung

ANSES hebt in seiner Bewertung bestimmte Stoffgruppen hervor, die im französischen Wachs häufig nachgewiesen werden. Dazu zählen vor allem Pyrethroide (z. B. tau-Fluvalinat). Aufgrund ihrer Lipophilie reichern sie sich bevorzugt im Wachs an. In einem französischen Datensatz zu Mittelwänden (CRD, n = 152) war tau-Fluvalinat sehr häufig quantifiziert (Mittelwert im Bereich von rund 0,5 mg/kg; Maximalwerte im niedrigen einstelligen mg/kg-Bereich).

Ein weiterer Stoff, den ANSES explizit berücksichtigt, ist Piperonylbutoxid (PBO). PBO ist kein Varroazid, sondern ein Synergist, der die Wirkung bestimmter Insektizide verstärkt. Seine Bedeutung ergibt sich weniger aus einer eigenen primären Toxizität als aus der Kombination mit Pyrethroiden. In demselben französischen Mittelwand-Datensatz wurde PBO in einem großen Anteil der Proben quantifiziert (typischerweise im Bereich um 0,1–0,2 mg/kg; Maximalwerte unter 1 mg/kg). Darüber hinaus werden Rückstände weiterer Akarizide sowie Spuren von Pflanzenschutzmitteln beschrieben. Die Bewertung erfolgt über einen zusammenfassenden Risikoquotienten, der die einzelnen Stoffe gewichtet.

Vergleich mit deutschen und bayerischen Langzeitdaten

Die französischen Befunde lassen sich gut mit den in Deutschland seit Jahrzehnten erhobenen Daten vergleichen. Die Landesanstalt für Bienenkunde in Hohenheim untersucht seit den 1990er-Jahren regelmäßig Bienenwachs und veröffentlicht die Ergebnisse in Jahresberichten. Ergänzend liegen für Bayern detaillierte Auswertungen aus dem BayÖkotox-Projekt sowie aus den Jahresberichten zur Wachsanalytik des Tiergesundheitsdienstes Bayern vor.

Ein zentrales Ergebnis dieser Zeitreihen ist die Dominanz von Varroaziden im Rückstandsprofil des Wachses.

Coumaphos und Fluvalinat – klassische Altlasten

In den frühen 2000er-Jahren wurden in deutschen Proben häufig Rückstände von Coumaphos nachgewiesen, teils in hohen Konzentrationen. Coumaphos war der Wirkstoff in Präpararten wie Perizin oder CheckMite+. Mit der Änderung von Varroabekämpfungsstrategien ging die Nachweisrate deutlich zurück. Gleichwohl lassen sich Coumaphos-Spuren auch Jahre nach dem Ende der Anwendung noch im Wachs finden. CheckMite+ ist bspw. noch in EU Nachbarländern zugelassen und erzeugt selbst nach einmaliger Anwendung schon hohe Rückstände im Wachs.

Fluvalinat (z.B. in Apistan Streifen enthalten) zeigt ein ähnliches Muster. Auch hier sind die Nachweisraten im Laufe der Zeit zurückgegangen; verschwunden ist der Wirkstoff jedoch nicht vollständig. In neueren Berichten taucht Fluvalinat weiterhin in einem relevanten Anteil der Proben auf, meist im unteren mg/kg-Bereich. Fluvalinat ist in Deutschland als Varroazid nicht zugelassen, ist aber weltweit gegen Varroa im Einsatz. Als Spritzmittel gegen Schadinsekten steht es dem Obst- und Ackerbau zur Verfügung.

Diese Befunde unterstreichen die Langzeitwirkung des Wachses als Speicher.

Amitraz – präsent, aber selten dominierend

Amitraz nimmt in den deutschen Daten eine besondere Stellung ein. Der Wirkstoff selbst ist instabil; nachgewiesen werden überwiegend seine Abbauprodukte (DMF, DMA; teils auch DMPF). Diese werden seit vielen Jahren gefunden, meist in niedrigen bis mittleren Konzentrationen und häufiger in Import- oder Altwachsen. Auch in den Auswertungen 2020–2024 taucht Amitraz regelmäßig, aber nicht flächendeckend auf. Er ist damit ein wiederkehrender, jedoch kein dominierender Bestandteil des Rückstandsprofils. In der französischen Literaturübersicht werden für Amitraz und Metaboliten zudem breite Spannweiten berichteter Mittelwerte beschrieben (je nach Studie), was die starke Abhängigkeit vom Wachskreislauf und der Probenherkunft unterstreicht.

Thymol – Varroazid natürlichen Ursprungs

Thymol ist – trotz natürlichen Ursprungs – ein Varroazid. Wie andere lipophile Wirkstoffe kann auch Thymol im Wachs nachgewiesen werden. Häufigkeit und Konzentration hängen stark von der Anwendung und der Erneuerung des Wachses ab. Deutsche Daten zeigen entsprechend praxisabhängige Werte, teils im ein- bis zweistelligen mg/kg-Bereich.

Piperonylbutoxid in deutschen Wachsen

In den Hohenheimer Jahresberichten wird Piperonylbutoxid nicht durchgängig als eigener Befundstoff ausgewiesen, was auch mit dem historischen Fokus vieler Panels auf Varroazide zusammenhängt. In Bayern wird PBO jedoch explizit im Rahmen der Wachsanalytik erfasst und erscheint in den Nachweisprofilen. Mit breit angelegten Multirückstandsanalysen, wie sie im BayÖkotox-Teilprojekt 3 eingesetzt wurden, ist PBO zudem quantitativ gut belegbar: Im stark kontaminierten Ausgangswachs (K-Wachs) wurden z. B. 170 µg/kg (= 0,17 mg/kg) berichtet. Damit ist belegt, dass PBO auch in deutschen/bayerischen Wachsen vorkommen kann und stark von Herkunft und Analytik abhängt.

Warum sich Befunde unterscheiden

Unterschiede zwischen französischen und deutschen Daten lassen sich im Wesentlichen auf strukturelle Faktoren zurückführen:

  • Herkunft und Zusammensetzung der Wachskreisläufe,
  • Anteil geschlossener Eigenkreisläufe,
  • historische und aktuelle Varroabekämpfungsstrategien,
  • sowie die eingesetzten Analysenmethoden.

Je sensibler analysiert wird, desto mehr Stoffe werden sichtbar. Das bedeutet nicht zwangsläufig höhere Belastungen, sondern eine höhere Auflösung des vorhandenen chemischen Gedächtnisses.

Organische Säuren und Rückstände

Ein wesentlicher Unterschied in der Rückstandssituation ergibt sich aus der Art der eingesetzten Varroabekämpfungsmittel. Organische Säuren wie Ameisen-, Oxal- und Milchsäure führen nicht zu relevanten Rückständen im Bienenwachs. Sie sind nicht lipophil, reichern sich nicht im Wachs an und hinterlassen keinen chemischen Fußabdruck im Wachskreislauf. Die breite Umstellung auf organische Säuren in der Vergangenheit erklärt daher wesentlich, warum aktuelle deutsche Rückstandsprofile stärker von historischen Varroaziden und Importwachsen geprägt sind als von derzeitigen Behandlungsmethoden.

Vergleich ausgewählter Rückstände im Bienenwachs

(berichtete Konzentrationsbereiche, mg/kg; keine Grenzwerte)

Stoff / Stoffgruppe Frankreich (ANSES) Deutschland / Bayern Einordnung
Pyrethroide (z. B. tau-Fluvalinat) sehr häufig; ~0,3–3,3 (CRD; Median bis Max.) häufig 0,5–5, Einzelfunde bis ~10 Stark lipophil, ausgeprägte Anreicherung
Coumaphos häufig; ~0,4–4,2 (CRD; Median bis Max.) historisch >10–50, aktuell meist <5 Klassische Altlast
Amitraz (DMF/DMA) Metaboliten relevant; DMF im CRD bis ~0,6; Literatur (Mittelwerte) je nach Studie teils deutlich höher (v. a. DMPF) wiederkehrend 0,5–5, selten höher Metaboliten-Nachweise
Thymol häufig; CRD: Median ~0,44, Max. 36 häufig 1–60, praxisabhängig Lipophiles Varroazid
Piperonylbutoxid (PBO) häufig; CRD: Median ~0,10, Max. 0,88 BayÖkotox: bis 0,17 (=170 µg/kg) Synergist; methodenabhängig
Flumethrin (Bayvarol) vereinzelt <0,4 (CRD; Max.) Einzelfunde <0,5 Selten
PSM (sonstige) meist <1 Einzelfunde <0,5 Untergeordnete Rolle
Paraffin häufig nachweisbar; meist <1 %, einzelne Proben bis ~7,9 % meist <5 % Qualitäts-/Handelsthema
Stearinsäure selten <1 % Einzelfunde bis ~5 % Brutschädigend bei höheren Anteilen

Hinweis: Die Tabelle zeigt berichtete Messbereiche aus unterschiedlichen Datengrundlagen. Angaben mit dem Zusatz „CRD“ beziehen sich auf einen einheitlichen französischen Datensatz zu kommerziellen Mittelwänden, der von ANSES ausgewertet wurde (ANSES-Bewertung 2025). Je nach Quelle können Median-, Mittelwert- oder Maximalwerte zugrunde liegen. Organische Säuren sind bewusst nicht aufgeführt, da sie keine Wachs-Rückstände verursachen.

Schlussbemerkung

Die Bewertung von ANSES fügt sich in ein Bild ein, das aus deutschen und bayerischen Langzeitdaten bereits bekannt ist. Bienenwachs speichert Stoffe über lange Zeiträume und spiegelt damit Umweltbedingungen und imkerliche Praxis wider. Für die Imkerei bestätigt sich damit ein zentrales Prinzip: Wachs vergisst nichts, es spiegelt uns ungeschönt Belastungen und imkerliche (Fehl)Entscheidungen wider.

Bei entsprechend hohen Gehalten können lipophile Rückstände aus dem Wachs auch in Honig und Nektar übergehen, wie Langzeituntersuchungen insbesondere bei stark belastetem Altwachs zeigen; als praktische Orientierungsgröße wird in bayerischen Auswertungen häufig ein Bereich um etwa 0,5 mg/kg im Wachs genannt, ab dem Übergänge analytisch eher sichtbar werden können.

Geschlossene Wachskreisläufe begünstigen die Anreicherung lipophiler Stoffe, während eine gezielte Wachserneuerung – insbesondere über Entdeckelungs- und Naturbauwachs – zu einer schrittweisen Verdünnung vorhandener Rückstände führt. Organische Säuren wie Ameisen-, Oxal- und Milchsäure reichern sich nicht im Wachs an und tragen daher nicht zur langfristigen Rückstandsproblematik bei.

Analytische Befunde liefern damit wichtige Einblicke in das chemische Gedächtnis des Bienenstocks und zeigen, dass durch umsichtiges Wachsmanagement, einer nachhaltigen Wabenhygiene und transparente Herkunft die Belastung des Wachses reduziert und sogar ganz vermieden werden kann.

Quellen und weiterführende Links

ANSES (2025)
Improve bee health by reducing contamination of the wax used in beekeeping.
Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail (ANSES), Maisons-Alfort, Frankreich.
https://www.anses.fr/en/content/improve-bee-health-reducing-contamination-wax-used-beekeeping

ANSES – Aufgaben und Selbstverständnis
Agence nationale de sécurité sanitaire de l’alimentation, de l’environnement et du travail.
https://www.anses.fr/en/content/our-identity

Landesanstalt für Bienenkunde, Universität Hohenheim
Jahresberichte der Landesanstalt für Bienenkunde Hohenheim
(1997–2024), insbesondere die Abschnitte zur Rückstandsanalytik von Bienenwachs.
https://bienenkunde.uni-hohenheim.de/jahresbericht

BayÖkotox – Teilprojekt 3 (TP3)
Rückstände von Pflanzenschutzmitteln, Bioziden und Umweltkontaminanten in Bienenprodukten und Bienenwachs.
Bayerisches Landesamt für Umwelt (LfU), Bayern.
Projektberichte und Abschlussberichte, u. a. Untersuchungszeitraum 2020–2024.
https://www.lfu.bayern.de/analytik_stoffe/bayoekotox/teilprojekte/tp3/index.htm

Tiergesundheitsdienst Bayern e. V. – Bereich Biene
Jahresberichte zur Rückstandsanalytik von Bienenwachs und Bienenprodukten in Bayern.
https://www.tgd-bayern.de/Biene/Infothek/Jahresberichte

ITSAP – Institut Technique et Scientifique de l’Apiculture et de la Pollinisation
Technical and scientific guidance on beekeeping practices, wax management and residue prevention.
https://www.itsap.asso.fr/en

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Richard Odemer

Richard ist passionierter Imker und Bienenwissenschaftler. Seit vielen Jahren verbindet er praktische Imkerei mit moderner Forschung zu Bienengesundheit und Volksentwicklung am Julius Kühn-Institut. In seiner Freizeit betreut er seine eigenen Bienenvölker und produziert regionalen Honig.

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Eine Antwort

  1. Juergen Bernauer sagt:

    Vielen Dank für den gut verständlichen und sachlichen Artikel. Sehr klar wird gezeigt, dass Bienenwachs tatsächlich ein „Gedächtnis“ hat – nicht im übertragenen Sinn, sondern ganz konkret durch messbare Rückstände aus früherer imkerlicher Praxis und aus der Umwelt. Besonders hilfreich finde ich den Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland, der zeigt: Die Befunde sind nichts Neues, sondern seit Jahren bekannt.

    Wichtig ist auch der Hinweis, dass moderne Analytik mehr sichtbar macht, aber nicht automatisch mehr Belastung bedeutet. Und dass organische Säuren kein Rückstandsproblem im Wachs darstellen, ist für die Praxis eine zentrale Botschaft. Insgesamt ein Beitrag, der einordnet, beruhigt und gleichzeitig klar macht, wie wichtig gutes Wachsmanagement ist.

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